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„Eine kritische Diskussion“ – Stephan Geuenich und sein neues Buch zur Waldorfpädagogik

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Sommerloch?

Die Sommerferien sind ein Weilchen um, im Gegenteil steht der Herbst nicht mehr nur vor der Tür, inzwischen ist der Schulalltag auch an den 220 deutschen Waldorfschulen wieder angelaufen. Die mediale Berichterstattung darüber ist in der letzten Zeit eher verhalten – seit dem Tumult um die Wolfsburger Steiner-Ausstellung (“Kreative Fundgrube“) und außer häufiger, aber bedauerlicherweise tagesaktuelle Themen immer seltener aufgreifender kritischer “Enthüllungen” von Andreas Lichte (sowie seltener und dabei sichtlich ironischer werdender anthroposophischer Entgegnungen) hat es nicht viel Lesbares gegeben. Dabei häufen sich die relevanten Themen:  so gibt es seit Kurzem die erste staatlich anerkannte Ausbildung zum “biologisch-dynamischen” Landwirt (Medienstelle Anthroposophie), die Nürtinger Waldorfschule hat stellvertretend für alle anderen FWSen in BaWü gegen das Land wegen zu geringer Zuschüsse geklagt – und recht bekommen (waldorf-bw.de), am 1. Oktober findet ein groß angelegter WOW-day statt (an dem Waldorfschülis in allerlei selbst zu organisierenden Aktionen Geld für Waldorfinitiativen in Entwicklungsländern sammeln), das Waldorflehrerseminar Berlin feiert (wohl aus anthroposophischen Gründen) seinen einundzwanzigsten Geburtstag (vgl. “erziehungsKUNST – Waldorfpädagogik heute”, 09/2010, S. 37) und WaldorfkritikerInnen kritisieren die vom ebenda interviewten Dozenten Wilfried Jaensch leider nicht wirklich vorgenommene “Anthroposophische Vergangenheitsbewältigung”.

Bei leichter intellektueller Lähmung durch solche und ähnliche Anekdoten fand ich eines Nachmittags in der Mainzer Unibibliothek, 3. Stockwerk der “Freihand-Ausleihe”, gänzlich unerwartet und in einem anderen Zusammenhang (ich war auf der Suche nach einem Buch mit Texten von Arendt und Adorno jeweils über den/die andereN) ein kleines, grünes, unscheinbares Buch von Stephan Geuenich, erschienen 2009, das mir immerhin das Vertrauen in die Möglichkeit einer seriösen Diskussion des Komplexes “Waldorfpädagogik” kurzfristig zurückgab.

Stephan Geuenich: Die Waldorfpädagogik im 21. Jhdt - Cover

Der Titel “Die Waldorfpädagogik im 21. Jahrhundert – eine kritische Diskussion” erschien vielversprechend, und die Lektüre erwies sich dann auch als sehr informativ. Auf 152 Seiten fasst Stephan Geuenich neben einigen Stimmen aus dem anthroposophischen  und anthroposophiegegnerischen Raum (siehe Anhang bzw “Fußnoten”), die weltanschaulichen Grundlagen, wie Steiners Entwicklungspsychologie (vgl. Erziehung und Evolution), seine Temperamentenlehre (vgl. Typen, Themen, Temperamente), “Karma und Strafe” (vgl. Steiner und die Prügelstrafe) oder das verklemmte Verhältnis zur Sexualität (vgl. den Anhang zum Artikel Missbrauch und Reformpädagogik) zusammen, und vergleicht sie mit den Anforderungen an eine “Schule von morgen”. Damit ist ganz nebenbei auch der von WaldorfvertreterInnen nicht gänzlich zu Unrecht manchen KritikerInnen entgegengebrachte Vorwurf, doch selbst überhaupt nicht pädagogisch gebildet oder tätig zu sein, aus dem Weg geräumt.

“Schule von Morgen”

Folgende Punkte werden von Geuenich für eine zukunftsfähige Pädagogik aufgezählt:

  1. “Erziehung zur und das Leben in einer Demokratie … Eben dieses Leben in einer Demokratie und damit verbunden die notwendige Erziehung zur Partizipation soll hier als oberster Anspruch an Bildung angesehen werden.” Um ”plurale” Erfahrungen und ständigen Veränderungen  gerecht zu werden, müsse besagte demokratische Gesellschaft durchlässig für “die Mitbestimmung und-gestaltung aller Menschen” sein bzw. werden, Demokratie nicht nur ein Wahlsystem, sondern “Essenz des Sozialen” (John Dewey) darstellen (S. 11f.). Entsprechend wichtig sei auch SchülerInnenpartizipation bereits in der Schule.
  2. Bildung müsse gesellschaftlich produziertem “Sinndefizit” sowie der im Kapitalismus erzeugten Funktion von Schule als “Selektions- und Berechtigungswesen” (S. 14) entgegenwirken. Sonst komme es durch “die Kopplung des Lernens an sachfremde Belohnungen [d.h. die "künstliche" "Motivation" durch Zensuren und Prüfungen - AM] zur Entfremdung und dem – zusätzlich zum gesellschaftlich erzeugten Sinndefizit – möglichen Verlust von Sinnhaftigkeit … des Lernens” – “oder einer Vorgabe des Sinns durch die jeweilige Institution” (S. 16). Statt standartisierter Urteile “im Zuge von Reihungen, Rankings, Evaluationen und Tests” müsse “das eigene, wirkliche Interesse an einer Sache” befördert werden, und zwar durch “Selbsttätigkeit, Selbstbestimmung und die damit verbundene Anteilnahme am eigenen Handeln.” (S. 21 – auch hier lässt die Demokratie als “Essenz des Sozialen” grüßen).
  3. Bildungseinrichtungen müssten sich “gegenüber den außerschulischen Wirklichkeiten und sozialen Kontexten des Lernenden öffnen und damit Platz für Erfahrungen und Kontroversen schaffen” (S. 26) – hier sieht Geuenich auch die konzeptionelle Nähe zu dem hauptsächlich durch Rüdiger Iwan in den waldorfpädagogischen Diskurs eingeführten “Portfolio”-Ansatz (m.W. zuerst in Iwan: Fähigkeiten statt Wissenskontrolle, in Das Goetheanum, Nr. 46, Nov. 2001, S. 844ff. und ausführlicher in Ders.: Die neue Waldorfschule – ein Erfolgsmodell wird renoviert, Rowohlt Verlag, Reinbek 2007, v.a. S. 129-130, 219ff.; die Rezeption bei Geuenich auf S. 27, zu seiner Kritik an Iwan siehe meinen Artikel: “Bewährtes überdenken”).

Notwendige, wenn auch relativ allgemein bleibende Bemerkungen, aber zugleich hohe Ansprüche, an Schule insgesamt, deren gesellschaftlichen Kontext - und natürlich die Waldorfschule, die sogleich mit diesen Punkten verglichen wird. Jede halbwegs “linke” Person würde diesen Forderungen mutmaßlich zustimmen (wenn sie sie auch nicht so prägnant formulieren und materialreich belegen könnte), sie stünden sicher auch ganz weit oben auf der Prioritätenliste von heutigen WaldorflehrerInnen sowie Eltern, die ihr Kind auf eine Waldorfschule schicken wollen (vgl. Dirk Randoll: Eckdaten der Fragebogenerhebung, in: Heiner Barz/Dirk Randoll: Absolventen von Waldorfschulen, 2007, S. 41f., dort auch die Tabelle über “Elterliche Motive zur Schulwahl”).

Primat der Theorie

Die heutige Schulwirklichkeit an Waldorfschulen streift Geuenich - auch wenn er die “Vorreiterrolle” der ersten Waldorfschule 1919 in puncto “sozialer Koedukation  und Koedukation der Geschlechter, durch die fehlenden Zensurenzeugnisse und die Abschaffung des Sitzenbleibens, sowie die Einbeziehung vielfältiger, mehrere Sinne ansprechender Tätigkeiten” sachlich anerkennt (Geuenich: Die Waldorfpädagogik im 21. Jahrhundert, S. 134) – aber nur am Rande, mit dem Argument:

“Auch wenn, wie erwähnt, sehr wohl positive Ansätze und auch Unterschiede in verschiedenen Schulen aufzufinden sein werden, ist die weltanschauliche Theorie konstitutiv für ihre Praxis … Auch wenn aus erziehungswissenschaftlicher Sicht der Erfolg der Waldorfschulen anerkannt werden muss, bedarf es der Kenntnis der hinter der gesamten Waldorfpädagogik stehenden Theorie sowie einer kritischen Auseinandersetzung damit.” (S. 148-150)

Diese “Theorie”, die Anthroposophie, versteht Geuenich im Einklang mit den Thesen der heutigen universitären Esoterikforschung, betreffend esoterische Weltanschauungsproduktion im 19. und frühen 20. Jahrhunderts – als eine Antwort auf die auch von Geuenich polyvalent eingeschätzte Veränderung der Gesellschaft in diesem Zeitraum in Richtung Pluralisierung, aber auch Sinnentlehrung. Diesem Sinndefizit stellte die von Helena Blavatsky unter dem Namen “Theosophie” (Weisheit vom Göttlichen) begründete und von Steiner mit Elementen goethescher Naturmystik und Versatzstücken christlicher Symbolik zur Anthroposophie modifizierte Weltanschauung eine “höhere Wahrheit” mit dem Anspruch auf absolute Größen entgegen. Da sich hier Geuenichs zentrale Kritik, aktuelle Debatten der religionswissenschaftlichen Esoterikforschung, das zentrale Kern- und Begründungsproblem der Waldorfpädagogik und (das muss ebenfalls gesagt werden ;-) ) mein ganz besonderes Interessengebiet überschneiden, seien diesem Grundgedanken der Anthroposophie zwei längere Zitate gewidmet:

“Esoterik ist einer der Katalysatoren aufgeklärten Denkens, wird attraktiv eben auch dadurch, dass die Anhänger dieser Glaubensform ihr eigenes Weltbild nicht als Religion, sondern als Wissen verstehen, als eine priveligierte, ‘höhere’ Form des Wissens. … Esoterik weist in ihrem Selbstverständnis Wege zur Entgrenzung menschlichen Wissensgewinns, des Wissens über die Schöpfung.” (Monika Neugebauer-Wölk: Aufklärung – Esoterik – Wissen. Transformationen des Religiösen im Säkularisierungsprozess. Eine Einführung, in Dies.: Aufklärung und Esoterik – Rezeption, Integration, Konfrontation, Niemeyer Verlag, Tübingen 2008, S. 27f.)

“Wer eine ,richtige’ wissenschaftliche Praxis zum falschen historischen Zeitpunkt betreibt, wird zum wissenschaftlichen Paria. … Wer um 19oo jahrhundertelang akzeptierte Formen der Wissensgewinnung und Wissensdeutung pflegte, konnte sich zu Recht auf kulturell hoch geschätzte, von wissenschaftlichen Leitfiguren beglaubigte Praktiken berufen und fand sich dennoch, meist unerwartet, unter die Pseudowissenschaftler eingereiht. Ein prominentes Beispiel für diese Verschiebung ist die ‘wissenschaftliche’ Esoterik, die durch diese Verschiebung von Normalitätsgrenzen überhaupterst entstand. … Das dahinter stehende anthroposophische Wissenschaftsverständnis gründete in dem Anspruch auf epistemologische Objektivität, die eine an die naturwissenschaftliche Erkenntnis angelehnte ,höhere’ Erkenntnis ermöglichen und in der kulturellen Anwendung die Unsicherheiten historischer Kritik durch Einsicht in das transhistorische Weltgedächtnis überwinden sollte. Dieses Programm objektiver Erkenntnis hatte Steiner … in seinem Idealismus der 1880er Jahreentwickelt, aber er hat es mit theosophischer Hilfe in ein esoterisches Programm überführt. Dessen Herzstück war die Annahme einer ‘geistigen Welt’, die Steiner glaubte, ‘objektiv’ erkennen zu können und durch deren Wirkungen er die Lebenswelt (also auch die Praxisfelder) ,befruchten’ wollte. Dies war eine explizit gegen den Materialismusdes 19. Jahrhunderts gerichtete Position. Die hier interessierende wissenschaftshistorische Pointe war sein Anspruch, diese ‘Erkenntnis der höheren Welten’ prinzipiell mit der gleichen Verlässlichkeit wie die Naturwissenschaften erreichen zu können. Die Naturwissenschaft mochte andere Verfahren und andere Erkenntnisbereichebesitzen, aber in ihrer strukturellen Empirizität solltedie ,höhere Erkenntnis’ der naturwissenschaftlichen nicht nachstehen. Aus Glaube sollte Wissen, aus Weisheit Wissenschaft werden, ‘Anthroposophie’ eine quasi naturwissenschaftliche Geisteswissenschaft sein. Steiner gehört damit in den Kontext jener Versuche im19. Jahrhundert, die angesichts der Dominanz und der Erfolge naturwissenschaftlicherMethoden Geisteswissenschaft unter Rückgriffauf naturwissenschaftliche Begründungs- und Geltungsansprüchekonzipierten.” (Helmut Zander: Esoterische Wissenschaft um 1900 – “Pseudowissenschaft” als Produkt ehemals “hochkultureller Praxis”, in: Dirk Rupnow u.a. (Hg.): Pseudowissenschaft -Konzeptionen vonNichtwissenschaftlichkeit in der Wissenschhaftsgeschichte, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 2008, S. 77-81 – Hervorhebungen AM)

Was so als religiöse und auch wissenschaftshistorische Erscheinungsform selbstverständlich Teil der abendländischen, gerade auch modernen Kulturgeschichte anzusehen ist, taugt aber schlecht als absoluter Maßstab für eine Erziehung in unserer nunmal leidlich pluralistischen Gesellschaft, gar eine demokratische Erziehung, eben weil beansprucht wird, sich an absoluten, metahistorischen Größen und nicht an aktuellen sozialen Umständen zu orientieren. So in etwa lautet jedenfalls Geuenichs Fazit - nach einer ausführlichen, sachlichen und angenehm unpolemischen Darstellung der waldorfpädagogischen Anthropologie und Lehrpläne natürlich (eine ausführlichere inhaltliche Zusammenfassung habe ich in einer Rezension für info3 geschrieben: “Bewährtes überdenken” – Waldorf und die “Schule von Morgen” aus der Sicht eines Demokratiepädagogen), die sich neben der Analyse von einigen Vorträgen Steiners v.a. auf die Erziehungswissenschaftler Klaus Prange und Heiner Ullrich, die Waldorfpädagogin Caroline von Heydebrand, die sicher überzogen angriffslustigen, aber anthroposophische Problembereiche nahezu seismographisch abtastenden Darstellungen von Peter Bierl und den auch von mir gern zitierten Wissenschaftshistoriker Helmut Zander stützt. Dabei fördert die Analyse nichts fundamental Neues über die bekanntlich bereits sehr ausführlich diskutierte Waldorfpädagogik zutage, zeichnet sich aber durch eine umfassende und zugleich schlichte, souverän auf wichtige Kerntmotive reduzierte  Darstellung aus.

“Hier soll es nicht darum gehen, die genannten positiven Aspekte der Waldorfpädagogik zu verdrängen oder zu negieren. Wie jedoch dargestellt wurde, können diese teilweise durchaus positiven Praktiken nicht losgelöst von der theoretischen Basis betrachtet werden. … Den in dieser Arbeit gestellten Anforderungen an Bildung und Schule kann die Waldorfpädagogik höchstens partiell in einzelnen Praktiken des schulischen Alltags erfüllen, jedoch widersprechen Teile der ihr zugrunde liegenden theoretischen Konzeption einer Ausrichtung der Pädagogik an Aspekten einer im hier definierten Sinne demokratischen Erziehung zur kritischen Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen. … Die Sicht auf die Individuen entspricht nicht deren vielfältigen Erfahrungen, sozialen Kontexten und unterschiedlichen Stärken und Schwächen, sondern der Passung zu diesen als allgemeingültig angenommenen Gesetzen.” (Geuenich: Die Waldorfpädagogik im 21. Jahrhundert, S. 144-157 – Hervorhebungen AM)

Über so manche Einzelheit von Stephan Geuenichs “kritischer Diskussion” könnte mensch sicherlich und zurecht streiten, etwa die mangelnde Berücksichtigung der Relevanz von Steiners Dreigliederungskonzept für die Waldorfpädagogik, oder, wie sinnvoll es ist, sich bei der ansonsten und wohl aus diesem Grund sehr sachlichen Darstellung von Steiners Rassenlehre (vgl. Die Philosophie der Un-Freiheit, Rudolf Steiners Rassenlehre) ausschließlich auf Helmut Zanders “Anthroposophie in Deutschland” zu stützen, ohne aber auch nur einen einzigen rassentheoretischen Text Steiners selbst zu begutachten. Aber das sind, wie gesagt, Details: Das Buch bleibt eine handfeste Auseinandersetzung.  Auch, wer sich mit den aktuellen Ereignissen und Debatten in der Diskussion um Waldorfpädagogik und Anthroposophie interessiert, kommt auf seine Kosten: Schon im Vorwort, aber auch im weiteren Verlauf seiner Untersuchung kommentiert Geuenich sehr differenziert, wenn auch teils mit spitzer Feder allerlei Publikationen von KritikerInnen und BefürworterInnen der Waldorfschulen bis ins Jahr 2008, wie das von Jens Heisterkamp und Ramon Brüll verfasste “Frankfurter Memorandum” (vgl. Ausrutscher oder Rassenlehre), das viele KritikerInnen als unzureichend und viele AnthroposophInnen als überzogen kritisch empfanden [1] oder das heiß diskutierte, aber in Darstellung und Inhalt (wie auch Geuenich darlegt) sachlich schwache bis unseriöse und in der Polemik nurnoch anstrengende ”Schwarzbuch Waldorf” von Michael Grandt [2] (vgl. Pleiten, Plagiate, Pech und Pannen und zu Grandt allgemein nicht minder polemisch, aber aufschlussreich den Eintrag bei esowatch.com).

Es bleibt abschließend zu hoffen, dass diesem Buch künftig ein wenig mehr Aufmerksamkeit zuteil wird, als bisher, sowohl für die öffentliche als auch die universitäre Debatte – ganz zu schweigen von der waldorfinternen Auseinandersetzung, wo zwar die kritische Reflexion der Praxis inzwischen eingekehrt, aber die Beschäftigung mit der pädagogischen Theorie noch in den “Kinderschuhen” ist.

Siehe auch meine auch im Artikel schon mehrfach verlinkte Rezension in info3 10/10 sowie die zwei als “Anhang” angefügten Zitate in den Fußnoten.


Anhang in Form von “Fußnoten” …

… und als Beispiel für Stephan Geuenichs fundierten Überblick zur “Waldorf-Debatte” an zwei Beispielen aus dem Jahr 2008.

[1] Stephan Geuenich über das “Frankfurter Memorandum” von Ramon Brüll und Jens Heisterkamp: “In diesem Memorandum setzen sich zwei Anthroposophen mit dem Vorwurf auseinander, ‘der Gründer der Anthroposophie Rudolf Steiner … sei Rassist gewesen oder habe rassistisch gefärbte Ansichten vertreten’ (Memorandum, S. 3) … die Reaktionen aus der anthroposophischen Bewegung auf dieses Vorhaben sind interessant: Von der generellen Ablehnung des Vorhabens, sich mit Rassismus-Vorwürfen auseinanderzusetzen …, über die Position, das Problem möglicher(r) diskriminierende(r) Äußerungen Steiners anzuerkennen, jedoch dies nicht öffentlich zu diskutieren und stattdessen die konstruktiven Beiträge Steiners hervorzuheben, bis zur Einstellung, eine eigene kritische Aufarbeitung des Themas zu fokussieren und auszuarbeiten, ist alles vertreten (Memorandum, S. 16).” (Geuenich: Die Waldorfpädagogik, S. 4) “Demgegenüber (der bis heute auffindbaren anthroposophischen “Rechtfertigung” von Steiners rassistischen Äußerungen, vgl. dazu u.a. “Der Europäer”Ravagli, die Rassen und die Rechten - AM) steht jedoch die beginnende Auseinandersetzung mit problematischen Äußerungen: Als aktuellstes Beispiel ist das Frankfurter Memorandum zu nennen, in dem … diverse Aussagen Steiners betrachtet und teilweise als ‘bedauerlich’, aber auch irreführend, fraglich und diskriminierend angesehen [werden]. Das größte Problem an diesem Memorandum sehe ich darin, dass hier zwar einzelne Aussagen aus dem Gesamtwerk, das 89.000 Seiten umfasst, kritisch betrachtet werden, jedoch eine darüber hinausgehende kritische Beschäftigung mit Steiner, auf Basis einer bewusst eingenommenen Distanz, nicht geschieht. Zwar werden seine als diskriminierend erlebten Äußerungen in den historischen Kontext gestellt, wobei eine generelle Einordnung …, wie zum Beispiel die Tatsache, dass Steiner seine (Rassen-)Theorie auf die Basis populärwissenschaftlicher Literatur stellte, … nicht vorgenommen wird. Trotz dieser teilweise fraglichen Äußerungen und Ansichten, die in diesem Memorandum vertreten werden, muss der Verweis auf die Gefahren des potentiellen Chauvinismus (Memorandum, S. 13), sowie auf einen ‘latenten Antisemitismus’ (ebd., S. 6) in der Anthroposophie anerkannt werden. … Erste Schritte in diese Richtung sind somit gemacht worden, jedoch darf hier nicht stehen geblieben werden, gerade mit Blick auf eine plurale, demokratische Gesellschaft, in der Kritikfähigkeit und -bereitschaft fundamental für eine auf gesellschaftskritischer Basis stehender aktiver Beteiligung aller sind.” (Geuenich, S. 131f.).

[2] Stephan Geuenich über Michael Grandts “Schwarzbuch Waldorf” (Gütersloh 2008): “Aus mehreren Gründen ist das Buch dazu geeignet, exemplarisch den aus wissenschaftlicher Sicht nicht zu vertretenden, sowie in der Debatte wenig weiterführenden Umgang mit der Waldorfschule in populärer Sachliteratur aufzuzeigen: 1. Grandt arbeitet methodisch fraglich; so beachtet er beispielsweise den Kontext von Zitaten nicht, generiert auf Basis einzelner Aussagen umfassende Urteile und die Quelenarbeit ist mangelhaft. 2. Grandt bezeichnet sich selbst als ‘Fachberater für die Themenbereiche Nationalsozialismus, Scientology, Sekten, Satanismus und Anthroposophie’ [Buchumschlag des "Schwarzbuchs" - AM]. Dem entgegen steht seine Tätigkeit: neben zahlreichen populären Sachbüchern schreibt Grandt Artikel für den Kopp-Verlag. Dabei geht es z.B. um den Beweis der Existenz von UFOs, oder um das verschwörungstheoretische Gerede von einer “Israel Lobby”. Passend dazu vertreibt der Kopp-Verlag diverse verschwörungstheoretische und esoterische Bücher. Vor diesem Hintergrund mutet es dann doch merkwürdig an, wenn bei Grandt selbst zu lesen ist: ‘Die Anthroposophie … ist aufgrund ihrer okkult-esoterisch-kosmischen Ausrichtung wissenschaftlich nicht haltbar.’ ["Schwarzbuch", S. 209]. Auch wenn Grandt einen ersten Einblick in die Waldorfschule (…) gibt, sind Aussagen wie folgende auf Basis der erwähnten fragwürdigen Vorgehensweise verständlich: ‘Einziges Ziel der Publikation von Grandt ist es, mit exotischen Zitaten zur Anthroposophie die Waldorfschulbewegung zu verunglimpfen und damit Geld zu verdienen.’ [PM des BdFW, 5.9.2008]. Für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung ist dieses Buch auf keinen Fall geeignet. Auch das Gütersloher Verlagshaus, in dem das Buch erschienen ist, vertreibt überwiegend religiöse Literatur und kann einem pädagogischen Anspruch nicht genügen.” (Geuenich: Die Waldorfpädagogik, S. 4f. )


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