(von Karin Rohrer)
Vorwort A.M. – Auf diesem Blog wurden im vergangenen Jahr die Bücher von Taja Gut, Andreas Laudert und (ganz zuletzt) Christian Grauer vorgestellt. Die drei stehen für eine interessante Entwicklung in der anthroposophischen Szene, indem sie, alle biographisch eng mit derselben verbunden, für eine Abkehr vom missionarischen Anspruch auf „höhere Wahrheiten“ und paranoidem Personenkult plädieren. Die Folge dieser emanzipatorischen Absichten waren (wie zu erwarten) relativ weitgehende Ächtungen in der anthroposophischen Szene. Alle drei trafen sich am 10. November im Philosophicum Basel auf einer Podiumsdiskussion. Karin Rohrer berichtet.
Ich bin super pünktlich und eine ganze Viertelstunde vor Veranstaltungsbeginn im Ackermannshof, einem geschichtsträchtigen Basler Haus ganz in der Nähe des Rheins. Alles hier scheint vornehm, extravagant konzipiert und stilgerecht renoviert. Erst kürzlich fand die Vernissage zur Eröffnung statt: ein Kulturzentrum für gehobenere Ansprüche.
Auf dem Terminplan steht eine außerordentliche Veranstaltung, deshalb komme ich gleich zum Wichtigsten: Als Erstes suche ich die Toilette. Und finde sie ein paar Meter vom Eingangstor entfernt in einem schmalen Gang, der von der Eingangshalle wegführt. Die erste Überraschung hat mich auch schon gefunden: Die Türe zum stillen Örtchen ist nicht wie gewohnt gestaltet, sondern eine Bunkertüre. Richtig klar, was dies bedeutet, wird mir jedoch erst, als ich den Raum wieder verlassen will. Da ist keine Klinke! Ich suche zuerst gelassen nach dem rechten Griff, um das Teil zu bewegen, das mir den Weg frei geben sollte für den Gang in den Festsaal, indem zwei meiner Facebookfreunde, ein Autor, dessen kürzlich erschienenes Büchlein mich begeisterte und ein weiterer, mir bis dahin unbekannter Autor sich unterhalten würden über ihre Buchveröffentlichungen. Wie um Himmels Willen komm’ ich aber da wieder raus, frage ich mich – je länger desto nervöser? Da sehe ich eine Hinweistafel mit einer Hand, die scheinbar darauf hindeutet, wo der Türrahmen endet und die Türe beginnt. Ich versuche auf verschiedene Weise, die Tür in Bewegung zu bekommen, jedoch ohne Erfolg. Schon will ich einen Schritt zurücktreten und “Sesam öffne Dich” meditieren, da hat zum guten Glück noch jemand anderes das Bedürfnis nach diesen Räumlichkeiten und ich kann, sichtlich erleichtert und mit großem Verständnis der Eintretenden, mich doch noch auf die Suche nach dem Festsaal begeben.
Die nächste Verwunderung trifft mich im Treppenhaus: eine Bekannte. „Frau H, sie hier?“ Sie: „Was machst Du denn hier? … (Sie duzt mich, offenbar in Verwunderung, mich hier vorzufinden). Wir gucken uns andächtig um, während wir die samtig dezent glänzend geschliffene Holztreppe hochsteigen … Du meine Güte, denke ich, das kann ja heiter werden für die Jungs, die hier in aller Öffentlichkeit persönlich ihr innerstes Verhältnis zu Rudi preisgeben wollen! Aber ich weiss, sie haben Jens Heisterkamp dabei, der wird die Lage sicher managen. Die kurze Zeit vor Veranstaltungsbeginn nutze ich dazu, die sich nach und nach einfindenden, im anthroposophischen Rahmen durchaus illustren Gäste zur Kenntnis zu nehmen. Und ehrlich gesagt, die meisten kenne ich aus Dornach, der Anthroposophenkolonie, sogenannte „Kapazitäten“, die bestimmt keine offenen Fragen mehr haben bezüglich dem, was Anthroposophie ist oder zumindest sein soll, so meine Vorstellung jedenfalls.
Und jetzt nehmen sie vorne im Rampenlicht und unter imaginärem Trommelwirbel Platz, die drei Autoren Christian Grauer, Taja Gut, Andreas Laudert und der Moderator Jens Heisterkamp von der Zeitschrift Info3, dem sogenannten Boulevardblatt, wie sie in den eigenen Reihen oft genannt wird, einerseits, weil die Autoren recht unkonventionelle Steinerdeutungen vertreten und andererseits sich die Zeitschrift auch spirituellen Strömungen außerhalb der Anthroposophie zuwendet.
Nachdem Heisterkamp die Anwesenden begrüßt hat, dankt er gebührlich dem Basler Futurum Verlag, solch undogmatische Bücher zu verlegen. Mit der Anknüpfung der Hoffnung, solch ein Wagnis möge der Weiterentwicklung der Anthroposophie dienen, wendet er sich als erstes Taja Gut zu und stellt ihn kurz vor: Er war u.a. einige Jahre tätig im Rudolf Steiner Archiv in Dornach, in dem er an der Edition des Rudolf Steiner Gesamtwerkes mitarbeitete. Wie ich bei einer Recherche anlässlich dieser Veranstaltung bemerkte, nutzt er diese Tatsache jedoch nicht unbedingt zur vollen Zufriedenheit der ehemaligen Arbeitgeber aus (vgl. die “Stellungnahme” von Walter Kugler). Heisterkamp bezeichnet denn Guts Buch auch als radikal. Dieser schilderte nämlich 2010, wie ihn die Diskrepanzen und Widersprüche bei Steiner bis heute umtreiben: z. B. dessen Absolutheitsanspruch im Gegensatz zu seiner hochgelobten Freiheit und Individualismus oder dem Aufruf, alles selber zu finden bis zu dem, immer an Bestehendes anschließen zu müssen. Auch sei Steiner kein Systematiker gewesen. Umso erstaunlicher sei es, dass aus seinen vagen Angaben so etwas wie eine anthroposophische Medizin und biologisch- dynamische Landwirtschaft habe entstehen können.
Mit der Bemerkung, dass die anwesenden drei Autoren Schwächen der Anthroposophie thematisierten, aber keiner von ihnen ihr in den Rücken falle, jeder sich mit ihr auf seine eigene Weise identifiziere, wendet sich Jens Heisterkamp Andreas Laudert zu. Laudert arbeitet als Deutschlehrer, schrieb Lyrik und Theaterstücke. Eine zeitlang war er als Priester in der anthroposophienahen „Christengemeinschaft“ tätig – einige Anekdoten gibt er in seinem einschlägigen Buch „Abschied von der Gemeinde“ zum Besten. In der anthroposophischen Künstlerszene stieß er auf eine bemerkenswerte Verschlossenheit, die er aus anderen Künstlerkreisen so nicht kannte.
Über Christian Grauer erfahren wir, dass er einem klassisch anthroposophischen Elternhaus entsprungen ist – nach einer langen und leidvollen Ehe mit der Anthroposophie als seiner persönlichen „Einmannsekte“ interessiert ihn heute vor allem Steiners –„konstruktivistische“ Erkenntnistheorie. In seinem Buch „Es gibt keinen Gott, und das bin ich“ betreibt Grauer eine radikale Befragung seiner bisherigen Anthroposophie. Das Buch ist humorvoll zu lesen, nahe an einem Kabarett, jedoch nie, um andere zu verunglimpfen, immer auf sich selbst gerichtet. Heisterkamp zu Grauer: „Sag, was ist eine Einmannsekte?“ Grauer: „Ich war eine Einmannsekte!“. Er schildert, dass seine frühere Vorstellung von Anthroposophie nicht weniger als die Überzeugung war, er habe mit Steiner den Schlüssel zur Lösung des Welträtsels in den Händen und könne hiermit das Leben in den Griff bekommen. Und: Nur Steiner habe diesen Schlüssel. Also hier wieder der Absolutheitsanspruch, der auch Gut zu schaffen macht.
Der Moderator fragt die drei nun, was bei ihnen nach dieser existentiellen Befragung noch von Steiner übrigbleibt. Taja Gut antwortete, ihn interessiere Steiner „nur“ als Mensch. Als ein Mensch, dem gegenüber für gewöhnlich drei Extrempositionen eingenommen würden:
1. Steiner ist ein Schwindler
2. Er ist ein Psychopath
3. Alles ist wahr, was er sagte
Alle drei Varianten gehen für Gut nicht auf. Vielmehr gehe es vielen Anthroposophen gar nicht um Steiner, sondern um einen unfehlbaren Zeugen ihres eigenen Glaubens. Es wird das Eigene auf ihn gespiegelt. So resultieren Grabenkämpfe.
Laudert äußert, ihm gehe es nicht nur um Steiner, sondern vor allem um einen Draht zu authentischer Spiritualität. Steiner wollte anstossen, den eigenen Weg zu gehen und ging selber als leibhaftiges Beispiel voran. Seine zentralen Fragen lauteten, so Laudert: Was bedeutet Steiner für die Gemeinschaft und wie weit hat Steiner die Menschen an sich gefesselt? Wie befreit man sich aus diesem Bildernetz wieder? Grauer spricht sich dafür aus, Steiner soweit zu relativieren, dass man sich nicht mehr jeder seiner Aussagen fügen müsse.
Heisterkamp hakt weiter nach: Anthroposophen würden, zumindest von außen, als homogene Gruppe wahrgenommen. Sei es ratsam, sich von diesem Gemeinschaftsleben zu verabschieden, von den „Zweigen“ zum Beispiel? Laudert verweist auf die Vergangenheit: Anthroposophen brauchten den Absolutheitsanspruch als gemeinsamen Zement an Überzeugungen, nur so konnten sie ein so breites Netz von Organisationen unter einem Dach aufziehen. Die Gemeinschaftsmöglichkeit sei immer vorhanden, auch wenn die alten Formen wegbrächen, fraglich allerdings, was dann genau passiere. Grauer betonte, diese neue Gemeinschaft müsse um der Gemeinschaft willen da sein und nicht, um der Anthroposophie zu dienen, den Vorstellungen, die jeder davon habe.
Zum Ende hin stellt dann Heisterkamp die obligatorische Schlussfrage: Wie weiter mit der Anthroposophie? Er fragt, wofür sich die drei Autoren mit Blick auf Steiners Werk in Zukunft einsetzen wollten. Laudert plädiert für den altbekannten Begriff der Übernahme von humaner und ökologischer Verantwortung – als persönlicher Verantwortung, die nicht zu delegieren sei. Seine persönliche Baustelle sei vor allem die gegenwärtige Theaterszene. Gut bezeichnete Steiner als genialen Dilettanten im positiven Sinne, einen Anreger. Grauer: Für ihn spielt der philosophisch-konstruktivistische Ansatz Luhmanns eine zentrale Rolle bei der Betrachtung des steinerschen Werkes; die ganz starke Konstruktivismuskritik bei ihm. Nur diese Ideen haben Bestand, die er auch erleben kann.
Jens Heisterkamp beschloss mit Grauers Ausführungen das Gespräch und übergab das Wort dem Publikum. Und tatsächlich, aus den wenigen Wortmeldungen hoben sich zwei besonders hervor, die augenscheinlich bloße Kritik anbringen wollten. Auf die Nachfrage, wo konkret die Unterstellung denn zu verorten sei, war aber auch direkt Schluss bei der einen Person, weil sie sich angeblich nicht schnell genug erinnern konnte an die Stellen in Taja Guts Buch, die sie so brüskierend fand. Ein Herr äußerte, er könne nicht verstehen, wie es möglich ist, dass Taja Gut im Rudolf Steiner Verlag, dessen Hauptaufgabe es ist, Steiners Werk zu verlegen, quasi eine Gegnerschrift veröffentlicht habe. Da er selbst ehemaliger Steiner- Herausgeber sei, liege hier eindeutig ein Missbrauch vor. Gut wie auch Heisterkamp vertraten die Ansicht, dass diese Möglichkeit auf die Offenheit des Verlags, auch Autoren jenseits der Gefälligkeit eine Plattform zu bieten, hinweise. Aus dem Publikum kam wie zu erwarten keine Reaktion auf die beiden Wortmeldungen.
Karin Rohrer, geboren 1962, wohnt und arbeitet seit 20 Jahren in Basel und Dornach
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* so die Betitelung Taja Guts nach dem Erscheinen seines Buchs “Wie hast du’s mit der Anthroposophie?” in der rechtsanthroposophischen Zeitschrift “Der Europäer”
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