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Ist es an der Zeit für eine Rudolf-Steiner-Gesellschaft?

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“Ist es an der Zeit, über eine »Rudolf-Steiner-Gesellschaft« (oder auch eine andere akademische Assoziationsform) nachzudenken, die das Ziel hätte, all jenen ein Forum zu geben, die sich mit Steiner und seinem philosophischen, theosophischen, anthroposophischen und künstlerischen Werk beschäftigen und dabei die Früchte ihrer Arbeit in einer Form darzustellen und mitzuteilen bereit sind, die anschlussfähig ist an den allgemeinen akademischen Diskurs?”

schreibt Christian Clement, Herausgeber der Kritischen Steiner-Ausgabe (SKA) im Stuttgarter frommann-holzboog-Verlag und bietet sich an, bei Interesse Schritte in Richtung Gründung einer solchen Gesellschaft zu unternehmen. Dazu gehören soll ein Jahrbuch mit Artikeln und Rezensionen. Ob es möglich sei, dass “Vertreter der verschiedenen Strömungen innerhalb der Anthroposophie, die Freunde und die Kritiker Rudolf Steiners, unabhängige Esoterik-Forscher und alle möglichen sonstigen Facetten des Spektrums zu einem fruchtbaren Dialog” zusammenkommen, formuliert Clement wie den ganzen Brief eher in Frageform. Auch ich sehe in den perspektivischen Abgründen zwischen den zu erwartenden Teilnehmern die größte Herausforderung eines solchen Unternehmens. “Freunden” und “Kritikern” Steiners, die diese Bezeichnungen verdienen, wäre naturgemäß und für das Allgemeinwohl eher zur gegenseitigen Sabotage zu raten. Ich meine trotzdem und eben deshalb: Ja, in der Tat ist es an der Zeit für eine Rudolf-Steiner-Gesellschaft, vielmehr allerdings für eine Gesellschaft zur Erforschung der Anthroposophie. Eine Vereinigung, die schon im Namen auf “Früchte” der Steiner-Philologie festgelegt wäre, hätte zum einen den längst dazu existierenden Foren (Alanus-Kolloquien, Rudolf-Steiner-Forschungstage) nicht zwingend viel voraus. Und im Unterschied zum vermutlich überschaubaren akademischen Umfeld irgendeiner Hermann Cohen-, Nicolai Hartmann- oder Karl Jaspers-Gesellschaft hat das Erbe Steiners bekanntlich seine Spezifika. Wissenschaftlich erforderlich wären soziologische oder sozialpsychologische Studien zur Struktur und gesellschaftlichen Rolle der Anthroposophischen Gesellschaft und “Bewegung”, medizinische Untersuchungen zu Steinerschen Zaubermitteln, historische Forschungen beispielsweise zur Anthroposophie (namentlich der Christengemeinschaft) in der DDR…. und last but not least wirklich kritische Analysen,  wie es sie hinsichtlich aller gesellschaftlichen Bereiche gibt, während sie von wohlgesinnten “Steinerforschern” vermutlich als Polemik abgelehnt würden. Hans-Peter Riegels Beuys-Biographie und Peter Bierls “Erzengel, Wurzeln und Volkgeister” beispielsweise sind selbstverständlich und zu Recht Polemiken, für eine ernstzunehmende Anthroposophie-Forschung aber viel nützlicher als große Teile auch der besseren anthroposophischen Literatur, obwohl es sich bei beiden nicht wirklich um akademische Publikationen handelt. Das Spezifikum der (wenn auch nach wie vor um Steiner zentrierten) Anthroposophie ist ja gerade die Vielfalt ihrer biographischen, gesellschaftlichen und kulturellen Auswirkungen. Weiter schlösse sich das ganze Feld der Erforschung der deutschsprachigen Theosophie und Lebensreform an. Die Gründung einer solchen Gesellschaft würde primär davon abhängen, ob es gelingt, sehr unterschiedliche Interessengruppen auch tatsächlich anzulocken, oder ob, dem aktuellen Trend folgend, am Ende doch nur wieder die nächste verklärte “Steiner hat ganz, ganz viel mit dem deutschen Idealismus zu tun”-Gruppe zusammenträte. Natürlich hat Steiner ganz viel mit dem deutschen Idealismus zu tun, aber das ist nur ein Steinchen im reichhaltigen Mosaik der “Steiner-Forschung”, die sich nicht von der Erforschung der Anthroposophie als ganzer abtrennen lässt. Zu klären bleibt, wie in diesem sumpfigen Feld ein wirklich qualitativ neues Diskussionsforum aufgestellt und organisiert sein sollte. Clements Initiative möchte ich mich dabei gern und höchst erfreut anschließen.

 


Einsortiert unter:Christian Clement, Esoterikforschung

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