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Was hat man dir, du armes Kind, getan? Zu “Zander zitiert”

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Lorenzo Ravagli vergleicht Helmut Zander mit Karl-Theodor zu Guttenberg. Doch seine anhaltenden Versuche, Zanders Bücher zu “zertrümmern”, werden zu interpretativen Ablenkungsmanövern im (Un-)Geist der frühesten anthroposophischen Apologeten.

Das ist der Punkt des stärksten Missverständnisses aller historisch-psychologischen Herleitung idealer Werte … – als ob das Begreifen des Werdens den Wert des Gewordenen in Frage stellte, als ob die Niedrigkeit des Ausgangspunktes die erreichte Höhe des Zieles herabzöge, und als ob die reizlose Einfachheit der einzelnen Elemente die Bedeutsamkeit des Produktes zerstörte, die in dem Zusammenwirken, der Formung und Verwebung dieser Elemente besteht.
Die innere Festigkeit und Gefühlstiefe desselben kann nur eine geringe sein, wenn es sich durch die Erkenntnis seines Werdeganges gefährdet, ja überhaupt nur berührt glauben kann.
- Georg Simmel: Zur Soziologie der Religion (1898)

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Nachtrag: Die hier kritisierte Seite wurde inzwischen von “Zanders Zitate-Zauber” umbenannt in “Zander zitiert”. Die unten angeführten Texte und Denunziationen sind unter dieser neuen Adresse zu finden: http://www.zander-zitiert.de/startseite.html.

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Die “anthroposophische Bewegung” unterteilt sich in zahlreiche Lager. Von liberalen Rezipienten ist bis hin zu ultra-orthodoxen Kreuzrittern alles zu haben. Erstere bemühen sich zunehmend um einen reflektierten, durchaus emanzipierten Umgang mit der eigenen Geschichte und dem eigenen Gedankengut. Letztere versuchen so ziemlich alles, um diesen Umgang als Nestbeschmutzung und geistigen Verrat zu boykottieren. Der Publizist Lorenzo Ravagli, seit einem Jahrzehnt u.a. für seine Versuche berüchtigt, Steiners rassistische Ausfälle gegen “Neger” und Juden zu rehabilitieren (gelegentlich auch unter Pseudonym) hat jetzt zusammen mit Wolfgang Schad (emeritierter Professor für Evolutionsbiologie in Witten-Herdecke), die Internetplattform “Zanders Zitate-Zauber” eingerichtet. Im Visier der Seite: Der Religionswissenschaftler Helmut Zander.

Intro: Ravagli versus Zander

Zander hatte sich’s spätestens 2007 mit der anthroposophischen Szene verdorben. In diesem Jahr nämlich veröffentlichte er ein zweibändiges Werk über die Geschichte der “Anthroposophie in Deutschland”, in dem er die Entstehung der anthroposophischen Ideen innerhalb der weltanschaulichen Deutungsangebote um 1900 darlegte. Sein Fazit nach über 1700 Seiten:

“… es ging mir nicht um eine Hinrichtung Steiners, sondern um den Versuch, zu verstehen, wie sein Werk zu einer kulturellen Potenz im alternativen Milieu aufstieg … Viele Anthroposophen empfinden auch die historische Kontextualisierung als Ignoranz gegenüber den geistigen oder praktischen Impulsen Steiners, aber ich bin weiterhin der Meinung, dass man Steiners Grenzen und eben auch Leistungen nur im gesellschaftlichen Kontext versteht. Dahinter steht meine Überzeugung, daß man historisch-kritische Forschung nicht gegen spirituelle Weisheit ausspielen darf. Wer im intellektuellen Diskurs westlicher Gesellschaften ernstgenommen werden will, muß sich dieser radikal kritischen – und das heißt im Wortsinn weiterhin: prüfenden – Analyse stellen.” (Zander: Anthroposophie in Deutschland, Göttingen 2007, 1719)

Auf diesen Beitrag antwortete Ravagli mit einer 400-seitigen Streitschrift, die auf dem Klappentext die “Zertrümmerung” Zanders ankündigte (vgl. Leitmotiv Zertrümmerung). Darin konnte er ein paar dutzend für die Sache eher unbedeutende Zitatfehler des Historikers nachweisen und auch einige Quellen zeigen, die Zander in seinem ‘Mammutwerk’ übersehen hatte (Ravagli: Zanders Erzählungen, Berlin 2009, vgl. etwa S. 296). Doch diese berechtigten Kritikpunkte stilisierte Ravagli wie unter paranoidem Glaubenseifer und mit sensationslüsterner Sprache als Enthüllung einer dämonischen Absicht Zanders: “Man könnte dieses [Zanders] Forschungsprogramm, das der Entmythologisierung verpflichtet ist … als Versuch formulieren, dem Heiligen die Maske herunterzureißen und die unter ihr verborgene Bestie zum Vorschein zu bringen.” (ebd., 45). Zander beschrieb den Guru der Anthroposophie und seine MitarbeiterInnen freilich nicht als ‘Bestien’, sondern als Kinder ihrer Epoche, als Menschen, die in den theosophischen und alternativkulturellen, künstlerischen und pädagogischen Diskursen ihrer Tage “ganz nah am Puls der Zeit” waren (Zander, a.a.O., 1177). Ein solch dialogisches Potenzial muss Ravagli bekämpfen: Der Steiner, den er selbst präsentiert, war auf keinerlei ZeitgenossInnen angewiesen, sondern ihnen allen um Meilen voraus, durch ‘höhere’ Erkenntnis erschloss er sich absolutes Wissen über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und formte es zu einer Neo-Mythologie, die die Menschheit zu ihrer ‘wahren’ Bestimmung zurückführen solle. Einer ‘göttlichen’ Bestimmung, die schließlich in der Vernichtung der Erde und der Transmutation der Menschen zu kosmischen Geistern führen soll (vgl. Aufstieg zum Mythos).

Am Pranger (mal wieder): Religionswissenschaftler Helmut Zander

Die ‘geistigen’ Hintergründe des Zitatezaubers

Der erhoffte Effekt von Ravaglis Polemik auf “Zanders Erzählungen” blieb aus: Zanders Buch wurde keineswegs “zertrümmert”, sondern etablierte sich als Standardwerk, mit dessen Erkenntnissen anthroposophische (Robin Schmidt) und nichtanthroposophische (Hartmut Traub) AutorInnen fruchtbar weiterforschen konnten. Wer gehofft hatte, solche Schmalspurpolemik würde sich im Sand verlaufen, wurde Ende 2011 eines Besseren belehrt. Nun ging die erwähnte Seite “Zanders Zitate-Zauber” online. Ihr Anspruch: Zanders Irrtümer, Fehlleistungen und gemeinen Unterstellungen aufdecken –

“Bisher wurden all diese handwerklichen Mängel … noch nie systematisch untersucht oder nachgewiesen. Diese Webseite dient diesem Nachweis. Ihre Aufgabe lässt sich mit jener vergleichen, die von den in den letzten Jahren entstandenen Plagiats-Wikis (»Guttenplag«, »Vroniplag«) wahrgenommen wurde. Sie decouvrierten durch penible Textarbeit den von manchen Trägern akademischer Weihen erschlichenen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit.” (Zanders Zitate-Zauber, Startseite)

Wem es unfair scheint, Zanders Werk mit der kompilierten Doktorarbeit Guttenbergs zu vergleichen, hätte wohl Ravaglis volle Zustimmung: Zander sei nämlich viel, viel schlimmer als Guttenberg. Letzterer habe lediglich plagiiert, Zander jede Wissenschaftlichkeit fallengelassen:

“Allerdings ist der Vorwurf, der sich durch diese Untersuchung untermauern lässt, nicht der des Plagiats. Vielmehr geht es um den Nachweis einer geradezu systematischen Verdrehung, Verfälschung und Entstellung von Texten Rudolf Steiners, auf die Zander sich bei seinen weitreichenden Deutungen und Umdeutungen spezialisiert hat. Man kann geradezu von einer »Methode Zander« sprechen. “ (ebd.)

Diese Unterstellung ist albern. In Ravaglis Buch “Zanders Erklärungen” dienten, wie oben leider nur kurz ausgeführt, die “handwerklichen” Fehler Zanders nur als Aufhänger, um das sakrosankte eigene Steinerbild zu propagandieren. So überrascht es wenig, dass die tatsächliche Motivation für die neue Seite in keiner Weise wissenschaftliche Redlichkeit ist. Im Gegenteil geht es darum, der Weiter-Verbreitung von Zanders Werk Sand in die Mühlen zu streuen. Das formulierte Ravagli etwa auf Facebook:

“Angesichts der Tatsache, dass dessen [Zanders] Hauptwerk »Anthroposophie in Deutschland« derzeit mit Unterstützung durch eine namhafte deutsche Stiftung ins Englische übersetzt wird, ist damit zu rechnen, dass der Autor bald auch im englischen Sprachraum als »unabhängiger Experte« für Anthroposophie gelten wird. Damit wird einer Art Monopolstellung Zanders als Autorität der akademischen Steinerinterpretation Vorschub geleistet.” (Lorenzo Ravagli am 30.12.2011 auf Facebook- ähnlich ehrlich war er auf seinem privaten Anthroblog)

Das ist sicherlich richtig, als Reaktion auf diese Übersetzung kommt die Seite aber reichlich spät: Zanders Buch (übrigens in einer Reihe mit Werken Dan Diners und Jürgen Osterhammels) wurde bereits Anfang 2009 für einen Übersetzer-Preis ausgewählt (vgl. das Börsenblatt vom 28.4.2009).

Aber besser zu spät als nie: In einem zweijährigen Forschungsprojekt sollen nun. wie’s scheint unter dem akademischen Schutzmantel Schads und aus der Feder Lorenzo Ravaglis (sowie freiwilliger HelferInnen) möglichst viele Fehler Zanders oder was man so alles dafür halten mag, auf “Zanders Zitate-Zauber” zusammengetragen werden. Dass sein fast 2000-seitiges Werk Lücken lässt und keinesfalls Irrtumsfreiheit beansprucht, hat Zander selbst in der Einleitung seines Buches und auch im Dialog mit AnthroposophInnen zweifelsfrei festgestellt:

“Trotz des Umfangs der vorliegenden Darstellung ist klar, daß in sehr vielen Fragen weiterhin Diskussions- und Forschungsbedarf besteht. Mit diesen beiden Bänden liegt eine Zwischensumme vor, die, wie jede wissenschaftliche Publikation, keine ‘höhere’ Einsicht beansprucht und darauf angelegt ist, weitere Untersuchungen zu ermöglichen, die sie eines guten Tages ersetzen werden.” (Zander: Anthroposophie, a.a.O., 8).

Da es freilich sehr unspannend wäre, zuzugeben, dass man bei Zander offene Türen einrennt, tarnen Schad und Ravagli ihr Projekt anscheinend trotz allem lieber als sensationelle Enthüllung. In einer eigenen Rubrik auf “Zanders Zitatezauber” sammeln sie noch weitere zauberhafte Zitate von AutorInnen, die Zander unstatthafte Motive andichten (Zanders Zitate Zauber, Nachrichten).

Fiktive “Widerlegungen”

Was Ravagli als Widerlegungen Zanders verkauft, sind dann aber oft nicht mehr als langschweifige Erläuterungen dessen, was auch Zander selbst sagt. Wenn Zander über Steiners Vorstellung vom Kosmos als Emanation “des Geistes” schreibt: “Auch in Steiners vortheosophischem Idealismus finden sich ähnliche Vorstellungen” (S. 653). Kommentiert Ravagli unter (vielem, vielem) anderem: “In Steiners »vortheosophischem Idealismus« liegt in der Tat das erkenntniswissenschaftliche Fundament, das die Kosmogonie Steiners nach der Jahrhundertwende begründet. Die »Herkunft« des Grundgedankens ist das Denken Steiners. Bereits in den »Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften« erscheint der empirische Idealismus als Grundlage aller Wirklichkeitserkenntnis.” (Zanders Zitatezauber, Kategorie: “Falsche Behauptungen”). Ravagli nimmt das zum Anlass, seitenweise Steiners frühe Schriften zu diesem Thema zu zitieren. Das ist zwar sehr nett von ihm, aber es fragt sich doch, wo die falsche Behauptung Zanders sein soll.

Prangert an: Lorenzo Ravagli (Bild: Verlag Freies Geistesleben)

Der nächste von Ravagli präsentierte Fall: Zander beschreibt, Steiner habe seine spirituelle Evolutionstheorie gegen “Materialismus” und “Kreationismus” positioniert. Ravagli stimmt zu, führt dann aber aus: “Andererseits bedeutet dies nicht, dass die materielle Welt und die Gesetze dieser Welt für Steiner keine Realität bzw. Gültigkeit besäßen.” (ebd.) Das hatte Zander aber auch nicht behauptet. Anschließend folgen wieder lange Passagen der Steiner-Exegese, bevor Ravagli sich wieder zu seinem profanen Anlass, Zanders Buch herablässt. Was Steiners Ablehnung des Kreationismus anginge, sei die “Wahrheit” “viel komplexer”. Zwar stimme dies für die Weltanschauung des frühen Steiner, aber nach dessen Wende zur Esoterik (die für Ravagli keine ist), könne “nur oberflächliche Lektüre dazu verleiten, ihre kreationistischen Aspekte zu verkennen.” Statt dann aber Aussagen Steiners über einen kosmischen Demiurgen aus dem Hut zu zaubern, deutet er lediglich auf Steiners Konzept der Engelhierarchien. Scheinbar religiös verzückt, beschreibt Ravagli die “Opfer” dieser Hierarchien, ohne jedoch zu leugnen, dass Steiner die Engel selbst nicht als statische Welt-Designer, sondern als selbst in Entwicklung befindliche Geister konzipierte.

Ravaglis Probleme mit Zander sind offensichtlich Fragen der Interpretation. Was die zu schildernden Themenbereiche angeht, hat er im Einzelfall oft nur zu kritisieren, dass Zander sie nicht ausführlich genug (oder: Ravaglis eigener Deutung gemäß) wiedergibt. Dieser Umgang mit Zanders Werk scheint im anthroposophischen Milieu zum Normalfall zu werden: Auch in einem kürzlich erschienenen Sammelband von Rahel Uhlenhoff versuchten sich namhafte AutorInnen an einer “Widerlegung” Zanders. Diese angeblichen Widerlegungen enthielten dann aber meist genau das, was Zander auch schon gesagt hatte (vgl. dazu ausführlich Anthroposophische Geschichtsschreibung). Da besagte AutorInnen sicher weder dumm sind noch ihre LeserInnen dafür halten, haben wir es eventuell mit einem interessanten religionssoziologischen Muster zu tun: Ähnlich war Steiner selbst mit seinen theosophischen Quellen umgegangen. Damit will ich natürlich nicht behaupten, dass Ravagli nicht zurecht auf einige Zitatfehler Zanders hinweist – allerdings betreffen diese in meiner Wahrnehmung eher Details.

Wenn es darum geht, Zander die Berufung auf “dubiose Quellen” zu unterstellen, wird Ravagli anscheinend besonders emsig. Viel Fließ und Mühe verwendet er darauf, zu zeigen, dass einer der frühen, auch von Zander rezipierten, Anthroposophiekritiker, Jakob Wilhelm Hauer, ein überaus umtriebiger Nationalsozialist war. Das hat Zander aber auch schon ausgeführt (vgl. etwa S. 213, 547), der Hauer ebenfalls dafür kritisierte, dass er in der Theosophie “asiatisches” Gedankengut erblickte (S. 602). Auf Hauers rassenideologische Glaubensbekenntnisse beruft Zander sich freilich nicht. Ravaglis Einwand, dass Quellen wie Hauer “von einer seriösen Historiographie nicht herangezogen werden sollten”, fällt aber in voller Breite auf ihn selbst zurück: So stützte er mindestens eines seiner früheren Bücher auf Karl Heyer, der im Namen der Steinerapologie Fakten verdrehte und in einem (von Ravagli zustimmend zitierten) Buch die Verbrechen des Nationalsozialismus auf dessen Beeinflussung durch niederes, “asiatisches” “Rassentum” zurückführte. Belege dafür habe ich in zwei Exkursen unter diesem Kapitel zusammengetragen.

An anderen Stellen hat Ravagli Zander einfach missverstanden. Ein Beispiel: Zander schildert Steiners “hellseherische Erforschung” der menschlichen “Aura” und stellt fest, dass Steiner a) in vielen Details Aussagen des Theosophen W. Leadbeater wiederholte, aber auch b) auf dessen einschlägiges Buch verwies, um seine eigenen “Forschungen” überprüfbar zu machen. Zander folgert: “Die Offenlegung dieser Quelle kann ein Indiz sein, dass Steiner den Umgang mit theosophischer Literatur als Forschungsprozess analog zum universitären Verfahren darzustellen versuchte, mit Grundlagenliteratur, die diskutiert werden und als Basis weiterer Forschungen dienen sollte.” (Zander, 564). Ravagli dazu: “Steiner will sich also nicht von Kennern einer Literatur korrigieren lassen, sondern von Beobachtern derselben Forschungsgebiete … Die Überprüfung und Korrektur, von der Steiner hier spricht, ist nicht textgeschichtlichen oder hermeneutischen Interpretationsverfahren analog, sondern einem naturwissenschaftlichen Beobachtungsverfahren.” (Zanders Zitatezauber, Kategorie: “Falsche Behauptungen”). Nichts anderes aber schreibt Zander, wenn er meint, dass nach Steiner die Literatur “als Basis weiterer Forschungen dienen sollte.”, wie eben zitiert.

Wenn Ravagli beabsichtigt, eine vollständige Widerlegung von Zanders Werk auf die Beine zu stellen, braucht es für meinen Geschmack etwas überzeugendere Argumente. Dieser Aufstand um interpretative Detailfragen rechtfertigt seinen Aufwand und Enthüllungspathos jedenfalls nicht.

Wolfgang Schad und Helmut Zander

Während Ravaglis spitze Feder in allen Beiträgen auf “Zanders Zitatezauber” unübersehbar ist, liegen für mich die Motive Prof. Wolfgang Schads vorerst im Dunkeln, sich diesem denunziatorischen “Enthüllungs”-Projekt zur Verfügung zu stellen (Zanders Zitatezauber, Impressum). In “Anthroposophie in Deutschland” hat Zander Schad nirgends erwähnt, sehr wohlwollend allerdings dessen Arbeitsplatz (S. 1448). Im September 2011 noch war Schad bei der Ottersberger Tagung Anthroposophie im Hochschulkontext u.a. neben Zander als Vortragsredner angetreten. Zander hielt einen Vortrag über “Das anthroposophische Wissenschaftsverständnis” und Schad unmittelbar danach einen mit dem Titel “Die historische Interferenz im Umgang mit der Anthroposophie – Erfahrungen in Schule, Hochschule und Universität”, in dem er seinen Vorredner bedächtig seine Berechtigung zugestand, allerdings meinte, Anthroposophie sei vor allem “das Werdende” und nicht aus ihrem Entstehungskontext zu verstehen. Nach meinen zweifelsohne subjektiven Eindrücken saßen beide auch mindestens einmal zusammen. Dabei war Schad der Redner, Zander vor allem stiller Zuhörer. Der einzige mir bekannte Text, in dem Schad bisher m.W. zu Zander Stellung bezog, wiederholte letztlich Unterstellungen, wie sie auch Ravagli formuliert:

“Nach dem Motto: ‘Ihr seid gut, aber ihr seid noch besser, wenn ihr den Überbau weglasst’. Sogar Helmut Zander ist von dieser Hilfsbereitschaft ergriffen und möchte expressis verbis die Anthroposophen von ihrer Anthroposophie erlösen, indem er in einem großen Fleißwerk letztlich nur eine von ihm erfundene These vertritt: Steiner war von Machtgier über andere besessen und gab deshalb fälschlich vor, übersinnliche Erfahrungen zu besitzen.” (Schad: Rudolf Steiners Verhältnis zur Naturwissenschaft. Eine Lagebestimmung, in: Uhlenhoff 2011, 176).

Mit von der Partie: Wolfgang Schad, Bild: Wikipedia-Commons (verlinkt)

Zunächst: Hätte Zander diese These artikuliert, so hätte er sie zumindest nicht erfunden. Derartiges wurde nämlich schon zu Steiners Lebzeiten unterstellt (etwa bei Hans Leisegang). Ebensowenig fordert Zander von AnthroposophInnen ein, sie möchten in Zukunft weniger anthroposophisch sein. Er fordert aber tatsächlich den Durchgang durch eine historisch-kritische Perspektive, die die christliche Religionsgeschichte bereits hinter sich habe. Zander:

“Aber dies hat nicht dazu geführt, daß Gotteserfahrung oder Mystik keine Themen der Theologie mehr wären, sondern nur zu einer Klarstellung – um die schon die mittelalterlichen Theologen wussten: Es gibt religiöse Erfahrung nur in kulturellen Kontexten, nicht ‘unmittelbar’, nur eingebettet in unsere Lebenswelt. Unter dieser Voraussetzung hätten auch Anthroposophen respektive die Anthroposophie Steiners Werk neu zu deuten, was allerdings angesichts der von der christlichen Tradition teilweise massiv abweichenden weltanschaulichen Positionen auf eigenen Wegen geschehen müßte. Zu dieser Akzeptanz von Kontextualität gibt es meines Erachtens keine Alternative, wenn man in der europäischen Reflexionskultur Gesprächspartner finden will. Die Anthroposophie muß zwar diese Kontextualisierung nicht wollen, darf aber bei einer Verweigerung nicht klagen, wenn man sich im intellektuellen Getto wiederfindet.” (Zander: Rudolf Steiners Rassenlehre. Plädoyer, über die Regeln der Deutung von Steiners Werk zu reden, in: Puschner/Großmann (Hg.): Völkisch und national. Zur Aktualität alter Denkmuster im 21. Jahrhundert, Darmstadt 2009, 151f.)

Also keine Negation jeder spirituellen Erfahrung, nur die Betonung, dass solche Erfahrung niemals ahistorisch, sondern nur innerhalb kultureller Kontexte möglich sei. Dass Zander einen besonderen Fokus auf die Machtkonflikte in Steiners intellektueller Biographie legt, heißt in keiner Weise, dass er ihm niedere Motive unterstellt. (Post-)Moderne Wissens- und Wissenschaftstheorien haben im anthroposophischen Kontext scheinbar noch zu wenige LeserInnen gehabt. Sonst hätte man etwa von Michel Foucault lernen können, dass die Generierung von Wissen oder Meinung niemals ohne Machtverhältnisse abläuft:

“Unter Macht scheint mir, ist zu verstehen: die Vielfältigkeit von Kraftverhältnissen, die ein Gebiet bevölkern und organisieren; das Spiel, das in unaufhörlichen Kämpfen und Auseinandersetzungen diese Kraftverhältnisse verwandelt, verstärkt, verkehrt; die die Stützen, die diese Kraftverhältnisse aneinander finden, indem sie sich zu Systemen verketten – oder die Verschiebungen und Widersprüche, die sie gegeneinander isolieren; und schließlich die Strategien, in denen sie zur Wirkung gelangen und deren große Linien und institutionelle Kristallisierungen sich in den Staatsapparaten, in der Gesetzgebung und in den gesellschaftlichen Hegemonien verkörpern.” (Foucault: Mikrophysik der Macht, Berlin 1976, 112)

In diesem Sinne sind natürlich auch Zanders, Ravaglis, Schads (oder meine) Stellungnahmen in dieser Debatte um eine historisch-kritische Deutung Rudolf Steiners als Positionen in einem Machtdiskurs zu verstehen: Es geht letzten Endes und wie am Beispiel Ravaglis oben ausführlich gezeigt, um Deutungsfragen. Wenn Schad es vorziehen mag, Machtstrukturen auszublenden (als Biologe kommt er für seine Forschungsarbeiten sicher auch ohne aus), heißt das nicht, dass jeder, der sie beachtet, böse Absichten gegenüber seinem Analysegegenstand hegt. Schads angekündigtes Buch “Zanders Interpretation der Naturwissenschaft versus Wiederverkörperung” befindet sich wohl noch im Druck und wird seine Vorwürfe hoffentlich fundierter untermauern können.

“Aber noch entscheidender wird die Ringparabel im ‘Nathan der Weise’ von Lessing sein, denn sie lässt das Leben sprechen und entscheiden.” (Schad, a.a.O.)

Sofern “das Leben” hier nicht der erlösende Schoß einer anthroposophischen Una Ecclesia Sancta sein soll, in den es irrende Schäfchen und Religionswissenschaftler zurückzutreiben gilt: Amen.

Mögliche Motive: Was nicht sein darf

Es bleibt die Frage, die 2001 Ute Siebert in einem Offenen Brief in der taz an Ravagli richtete:

“Was ist so schlimm daran, Rudolf Steiner nach sozialwissenschaftlicher Manier in den Kontext seiner Zeit zu setzen? Warum fällt es Anthroposophen so schwer, den gesellschaftlichen Hintergrund, vor dem Rudolf Steiner gelebt und gedacht hat, mitzulesen, wie bei jedem anderen Philosophen auch? Warum kann man als Anthroposoph nicht sagen: Auch bei Steiner gab es Widersprüche und dunkle Seiten?”

Weil, so würde wohl nicht Ravagli antworten, aber so scheint es mir aus seinen Schriften förmlich herauszuschreien, nicht sein kann, was nicht sein darf. Anthroposophie darf nicht rückführbar sein auf irgendeinen historischen Kontext, irgendeinem relativen Zusammenhang, weil sie die absolute Manifestation des Weltgeistes darstellt. Die “Geheimwissenschaft” Steiners sei aus dem Geist geschöpft, der in den Formen und Strukturen des Weltalls wirke:

“Die »Geheimwissenschaft« ist ein gewaltiger Mythos. In ihm wird die Philosophie mythisch, weil sie zur Anschauung des schaffenden Geistes wird, der sich in Bildern offenbart. Wissenschaftlich ist dieser Mythos deshalb, weil der ihn erzeugende Geist genauso gesetzmäßig wirkt, wie die Bildekräfte der Natur.” (Ravagli: Philosophie wird zum Mythos)

Das lässt sich als religiöse Position durchaus vertreten. Als Argument in einer historischen Diskussion ist es aber schlicht irrelevant. Genau wie auf “Zanders Zitate-Zauber” versuchte Ravagli auch in früheren Projekten, historische Biographien von AnthroposophInnen so zurechtzupflücken, dass sie progressiv und irrtumsfrei erschienen. So hatte Uwe Werner 2011 neben AnthroposophInnen mit anti-nazistischen Positionen (Ita Wegman oder Albert Steffen) auf solche hingewiesen, die MitläuferInnen der Nazis waren und in ihnen Erfüllungshelfer “übersinnlicher” Notwendigkeiten sahen. Daraus wurde in Ravaglis Interpretation: “Werner verschweigt nicht die wenigen Einzelnen, die dem Irrtum erlagen, das nationalsozialisitische Regime könne auf Dauer den renitenten Individualismus und Kosmopolitismus der Anthroposophen dulden, aber er zeigt auch, dass auf beiden Seiten das klare Bewusstsein eines unüberwindbaren Antagonismus vorhanden war.” (Ravagli, Rezension zu Werner: Rudolf Steiner zu Individuum und Rasse). Auch gegenüber dem bekannten anthroposophischen Nationalsozialisten Friedrich Benesch legte Ravagli einen regelrechten “salto mortale” hin, um dessen nationalsozialistische Überzeugungen zur bloßen “Fassade” zu interpretieren (vgl. dazu kritisch Michael Eggert). Steiners eigene Rassismen ernannte Ravagli mit einem Co-Autoren, Hans-Jürgen Bader, flugs zu einer “erstaunlichen” Vorwegnahme der “Erkenntnisse” des Human-Genom-Projektes (Bader/Ravagli: Rassenideale sind der Niedergang der Menschheit, Stuttgart 2002, 69).

Das sind keine Un- oder Einzelfälle. Ravagli bewegt sich im geistigen Strom der frühesten anthroposophischen Apologeten, wie Louis Werbeck und Karl Heyer, denen er beispielsweise sein Buch “Unter Hammer und Hakenkreuz” (Stuttgart 2004, vgl. Ravagli, die Rassen und die Rechten) ganz explizit widmete (vgl. ebd., S. 4). Heyer beispielsweise versuchte bereits 1932 in seinem Buch “Wie man gegen Rudolf Steiner kämpft. Materialien und Gesichtspunkte zum sachgemäßen Umgang mit Gegnern Rudolf Steiners und der Anthroposophie” (im Folgenden zitiert nach der Neuauflage von 2008 im Basler Perseusverlag), Anthroposophiekritiker weniger zu widerlegen als vielmehr, Steiners Lebenslauf so präsentieren, dass er jeder Kritik enthoben war.

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ExkursI: Zander, Ravagli und ‘völkische’ Quellen

Eine von vier zentralen Kritikpunkten, die “Zanders Zitate-Zauber” gegen Zanders Buch “Anthroposophie in Deutschland” aufführt, ist dessen Einbezug von “explizite[r] »Gegnerliteratur«, die von Autoren aus dem völkischen oder theologischen Lager stammt, die teilweise systematisch Unwahrheiten über Steiner in die Welt setzten.” (Zanders Zitate-Zauber). Ravagli selbst aber macht sich mit einem Apologetischen und, wie sogleich zu zeigen sein wird, nicht minder ‘völkischen’ Rassisten wie Heyer gemein: In einem weiteren Buch (über Wesen und Wollen des Nationalsozialismus) schrieb der Jurist Heyer, “dass der Hitlerismus mit dem eigentlichen Wesen des Abendlandes innerlich nichts zu tun hat” (Heyer: Wenn die Götter den Tempel verlassen. Wesen und Wollen des Nationalsozialismus und das Schicksal des deutschen Volkes, Freiburg 1947, S. 81). Vielmehr seien die Konzentrationslager “als … Begehungsorte der wohl scheußlichsten Verbrechen, welche die Menschheit je geschändet haben” (S. 51) , sei die gesamte Ideologie des rassistischen Regimes aus einer Unterwanderung reinen ‘Deutschtums’ durch den Ungeist niederen “Rassentums” entstanden:

“Von alledem fällt nun auch hellstes Licht auf das Verhältnis des nationalsozialistischen Deutschland zu derjenigen ostasiatischen Macht, in der mongolisches (bzw. mongolisch-malayisches) Rassentum als Träger alter asiatischer individualitätsloser Geistigkeit mit moderner Technik und vor allem militärischem Rüstzeug eine einzigartige kriegerische Verbindung eingegangen ist … Das ist, von dieser Seite her betrachtet, das erschütternde Phänomen des Nationalsozialismus: die innere ‘Mongolisierung’ des deutschen Volkes.” (S. 88)

Heyers makaberer Versuch, den Nationalsozialismus mit rassistischen Argumenten zu kritisieren, war für Ravagli keinerlei Anlass für Distanz: Er stellt bedauernd dar, dass der berühmte Hitler-Biograph Joachim Fest die massenpsychologischen Dimensionen des Nationalsozialismus “nicht weiter” “verfolgt” habe (Unter Hammer und Hakenkreuz, a.a.O., S. 339. Das dürfte Fest anders sehen, vgl. sein Buch Hitler. Die Biographie, Berlin 1993, etwa S. 448-463, 513-529, 581-590, 610-612, 710-714). Doch Ravagli findet diese vermeintliche Selbsteinschränkung Fests verständlich, denn die Massenpsychologie sei ein unbewusst ‘magischer’ ‘Aspekt’ des Nationalsozialismus, der nach Ravagli durch…

“…eine geisteswissenschaftliche [d.h. anthroposophische] Analyse erst wirklich verstanden werden kann. Diese liegt in Umrissen bereits seit 1947 vor. Karl Heyer hat in seiner Studie über Wesen und Wollen des Nationalsozialismus den psychopathologischen Charakter  dieser geistig-politischen Bewegung … eingehend untersucht.” (ebd., 340).

Ravagli zitiert zustimmend Heyers Auffassung, dass Hitler, “der gefeierte Träger des ‘Führerprinzips’ … keinerlei Organ für das menschliche Ich” gehabt habe (Heyer, Wenn die Götter …, 28; zit. bei Ravagli, Unter Hammer und Hakenkreuz, 340). Dass Heyer darin aber die Einflüsse “alter asiatischer individualitätsloser Geistigkeit” erblickte (a.a.O.), verschweigt er. Daraus darf man sicherlich schließen, dass Ravagli diese rassistische Meinung Heyers nicht teilt. Die Berufung auf Heyers Buch ohne eingehende Distanzierung von dessen aggressiv rassistischen Inhalten desavouiert ihn nichtsdestominder – jedenfalls nach den Maßstäben, die er an Zander anlegt. Wer so arbeitet, sollte sich um den “Dreck” vor seiner eigenen publizistischen Haustür kümmern, statt anderen die Berufung auf ‘völkische’ ‘Gegnerliteratur’ anzukreiden.

Exkurs II: Ravagli, Karl Heyer und die Freimaurerei

Im zweiten Exkurs noch ein weiteres Beispiel für ‘dubiose Quellen’. Karl Heyers apologetische Vertuschung von Steiners maurerischen Aktivitäten, die im selben Stil auftritt wie Ravaglis Argumentation.

Um 1904 waren Steiner und seine Lebensgefährtin Marie von Sivers zu renommierten Personen der deutschsprachigen Theosophie aufgestiegen. Jener esoterischen Bewegung, von der Steiners seine “Anthroposophische Gesellschaft” 1913 abspalten sollte. Davon aber noch keine Spur: Vielmehr suchten Steiner und seine Muse Marie weitere esoterische Betätigungen und interessierten sich etwa für Freimaurerei. Brieflich suchte er Kontakt zu Theodor Reuß, einer dubiosen Gestalt der maurerischen Szene, auf dessen formale Anerkennung er angewiesen war, um in dieser “Szene” wirken zu können, obwohl er an der Person Reuß starke Zweifel hatte (vgl. den Brief  an A. Sellin, GA 265). Bis 1914 waren Sivers und Steiner in diversen maurerischen Logen unterwegs. “Als ‘Großmeister’ der ‘Mystica Aeterna’ trat Steiner nicht mehr als ‘Geistesforscher’ vor seine Zuhörerschaft, sondern als autoritativer Mystagoge vor seine Adepten.” (Ullrich 2011, 61). 1914 brach der Erste Weltkrieg aus und Steiner geriet in ein ganz anderes Fahrwasser: Hinter dem Krieg vermutete er Weltherrschaftspläne der “anglo-amerikanischen Welt” und vermutete die Pläne herrschsüchtiger Freimaurerlogen (“westlicher Bruderschaften”), mit denen er plötzlich überhaupt nichts mehr zu tun haben wollte (vgl. GA 163a-c).

“Das Kapitel in seiner Autobiographie, in dem sich Steiner über die gesamte Problematik ausspricht, klingt merkwürdig gequält, und er räumt schließlich mit umständlichen Worten ein, dass er [in der Person Theodor Reuß - AM] einem Schwindler aufgesessen ist.” (Lindenberg, Rudolf Steiner, Stuttgart 1997, 397).

Aus Steiners Freimaurerepisode versuchten ihm zahlreiche Gegner und Kritiker aus dem völkischen Milieu einen Strick zu drehen: Sie alle waren, wie Steiner nach 1914 ja ebenfalls, von einer bösartigen Weltverschwörung ‘der’ oder jedenfalls bestimmter Freimaurer gegen soziemlich alles (freilich vor allem “Deutschland”) überzeugt. Grund genug für Steiner, in seiner apologetisch gestimmten Autobiographie (“Mein Lebensgang”) die Zusammenhänge entsprechend zu glätten: Angeblich habe nicht er sich für Freimaurerei interessiert, sondern die Freimaurer für ihn:

“Einige Jahre nach dem Beginne der Tätigkeit in der Theosophischen Gesellschaft trug man von einer gewissen Seite her Marie von Sivers und mir die Leitung einer Gesellschaft von der Art an, wie sie sich erhalten haben mit Bewahrung der alten Symbolik und kultischen Veranstaltungen, in welchen die ‘alte Weisheit’ verkörpert war.” (GA 28, 446)

Der Name Theodor Reuß fällt in dem gesamten Dokument nicht, auch wenn (siehe das Zitat von Lindenberg) deutlich wird, dass Steiner sich zwischen den Zeilen noch einmal “gequält” von ihm lossagte.

Die Episode hat wenig Einfluss auf die heutige Anthroposophie und ist dennoch erzählenswert: In der Auseinandersetzung mit den frühen Kritikern und Gegnern Steiners taten anthroposophische Apologeten nämlich sehr früh alles, um jede Verbindung seiner Person mit der Freimaurerei unter den Teppich zu kehren:

“Wahr ist in dieser Hinsicht nur, was Rudolf Steiner in aller Klarheit in seinem Lebensgang darüber ausgeführt hat.”, phantasierte 1932 der Steiner-Schüler Karl Heyer in seinem oben erwähnten Pamphlet “Wie man gegen Rudolf Steiner kämpft”.

Bildquelle: amazon

Die Behauptung Heyers, “wahr” sei nur, was Steiner in seiner Autobiographie geschrieben habe, ist eine dogmatische Setzung. Er vermag dieser Darstellung nicht einen einzigen evidenten Beleg hinzuzufügen, und der Grund, aus dem er Steiners Selbstapologie für unfehlbar hält ist reichlich zirkulär: Weil aus seiner anthroposophischen Perspektive heraus Steiner als vollendeten, unfehlbaren Menschen erfährt, muss es auch jede seiner Darstellungen sein. Wer Steiners “Mein Lebensgang” lese, so Heyer, werde “sachlich-persönliche Aufklärung in reichster Fülle finden, und … sich bereichert fühlen durch  das Erlebnis eines größten Menschentums.” (Heyer: Wie man gegen Rudolf Steiner kämpft, a.a.O., 18). Was das Freimaurer-Thema angeht, geht Heyer nach seiner Paraphrase von Steiners Selbstapologie anschließend selbst zu einer doch recht ekelhaften Anti-Freimaurer-Hetze über:

“Gerade Rudolf Steiner war es, der schon während des [Ersten] Weltkrieges  und seither warnend auf die wirkliche westlich-politische Freimaurerei und ihre großgestreckten, Mitteleuropa bedrohenden Ziele auch ihre großgesteckten, Mitteleuropa bedrohenden Ziele, auch ihren Anteil am Weltkrieg auf das Nachdrücklichste hinwies, und zwar aus tiefer Erkenntnis ganz großer weltgeschichtlicher Zusammenhänge heraus…” (Heyer: Wie man gegen Rudolf Steiner kämpft, a.a.O., 112)

Zanders Kapitel zur Freimaurerthematik (S. 961-1015) hat Ravagli m.W. bisher nicht kommentiert. Doch auch er hält Steiners Aussagen in “Mein Lebensgang” für kanonisch. AutorInnen, die diese hinterfragen, bezeichnete er wiederholt als pathologisch. Das behauptete er etwa über Taja Gut (vgl. Bilder und Sachen). Und das schrieb er jüngst wieder in einer Rezension zu Rahel Uhlenhoffs kürzlich erschienenem Sammelband “Anthroposophie in Geschichte und Gegenwart“, den Ravagli nicht ganz zu Unrecht als “Antwort auf Zander” verstand. In diesem Sammelband hatte es David Marc Hoffman gewagt, Steiners apologetischen Lebensrückblick auch als solchen zu verstehen und nicht als gesicherte historische Quelle. Ravagli konterte:

“Diese Haltung führt ihn zu der aus unserer Sicht problematischen Zustimmung zu Zanders Entscheidung, Steiners Selbstdeutung in seiner Autobiographie »Mein Lebensgang« zu ignorieren bzw. sie als »ideologischen Überbau« abzutun. Diesem Größenwahn der Interpreten kann entgegengehalten werden, dass sie ohne ihre Autoren nichts sind und nichts hätten, das sie interpretieren könnten. Wenn sie sich so wenig für das interessieren, was ein Autor zu sagen hat, warum beschäftigen sie sich dann überhaupt mit ihm? Warum teilen sie uns dann nicht ihre eigene Botschaft mit, ohne sich hinter der angeblichen Deutung anderer zu verstecken?”

Wenn Ravagli Nichtzustimmung für Desinteresse hielte oder sich unter “Beschäftigung” nur kritiklosen Glauben vorstellen könnte, wäre das, milde gesagt, grandios lachhaft. Sein eigener Umgang mit Hoffman und Zander zeigt aber doch, dass auch er selbst “mehr” ist als die von ihm gelesenen Autoren (und trotzdem frei von Größenwahn). Das stimmt doch hoffnungsvoll. Jetzt wäre nurnoch zu lernen, dass AutorInnen, die Diskrepanzen mit Steiner haben, weder böse Absichten noch geistige Krankheiten haben müssen. Ihm als Ex-Herausgeber eines “Jahrbuchs für anthroposophische Kritik” sollte das nicht allzu schwer fallen.


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